Homeoffice und Homeschooling: alles parallel in einem Raum. Gemeinsam lernen und arbeiten: Wie funktioniert das in der Praxis? Birgit Heibel aus dem deutschen Marketing Team gewährt uns im Blog private Einblicke in ihren Alltag im Lockdown – auch Sohn Jakob (8) kommt zu Wort! Viel Spaß beim Lesen!
Morgens halb zehn in Deutschland: Alle Kinder sitzen frisch gewaschen und voller Vorfreude vor dem Computer und nehmen begeistert am digitalen Unterricht teil. Kaffeeduft wabert durchs Haus und der Hund wedelt fröhlich mit dem Schwanz. Morgens halb zehn bei uns: Sohnemann erklärt mit Nachdruck, noch im Schlafanzug, warum er heute nicht wirklich in die Videkonferenz möchte. Wie unfair Corona, die Welt und seine Mutter im besonderen seien. So wie gestern, wie letzte Woche und vermutlich auch übermorgen. Mit Papa – meinem Partner – gibt es die Diskussionen an dessen freien Montagen übrigens nie….
In meinem Arbeitszimmer stehen seit Mitte Dezember zwei Schreibtische. Ein grosser und ein kleiner. Wir haben nun ein gemeinsames Arbeitszimmer und starten morgens pünktlich um halb neun. Homeschoolingoffice halt. Das klappt meistens und viel besser, als ich dachte und doch steht er immer wie ein Schatten neben mir: Der Perfektionswahn: Diese selbst auferlegte Bürde, die mich glauben lässt, dass alles nur richtig und gut ist, wenn es geordnet, sortiert und nach Plan läuft. Wenn das Ergebnis perfekt ist, was auch immer das sein mag. Die vermeintliche Sicherheit, die mir, wenn ich ehrlich bin, den Weg zur Improvisation versperrt.
Der Videounterricht läuft. Multiplizieren und Dividieren im Hunderterbereich. Ich tippe sehr behutsam im Hintergrund. Einige Emails habe ich schon am Vorabend bearbeitet, das nimmt mir am Morgen den Stress. Und, wenn ich ehrlich bin, es gibt keinen Grund mich zu stressen. Ich habe die grossartigsten Kollegen der Welt, die für meine telefonische Nichterreichbarkeit bis zehn Uhr ( = Ende des Videounterrichts) mehr als Verständnis haben. Niemand macht Druck, also gibt es auch keinen Grund, mir selber welchen zu machen. Ah, mein Sohn meldet sich freiwillig in der Videokonferenz. Mutterstolz. Seine Lehrerin, selber zuhause mit zwei Kindergartenkindern, lobt ihn. So wie sie jedes Kind ihrer dritten Klasse lobt, das sich meldet. Sie ist ruhig, einfühlsam, erreichbar und geduldig.
Geduld. Keine meiner Stärken. Aber eine genervte Mutter ist nicht förderlich beim Kopfrechnen. Muss Jakob, der Frontalunterricht braucht und vermisst, zuhause alles so machen, wie es seine Mutter erwartet? Muss ich diese Präsentation wirklich heute fertig bekommen, wenn ich sie doch erst nächsten Mittwoch vorstellen muss?
Neue Verben sollten Einzug halten in meinen Lockdownalltag. Mehr können, mehr dürfen, mehr zulassen.
Ich telefoniere mit meinem Kollegen. Wir alle, verteilt über ganz Deutschland sind uns so viel näher gekommen seit März. Wir wissen voneinander, wann die Kinder den ersten Schritt getan, welcher Nachbar gerade die Wohnung saniert, wo die Heizung ausgefallen ist und tauschen Buchtipps aus. Wir sind uns nahe gekommen. Privates und Berufliches vermischt sich.Und ich finde es wunderbar.
Jakob ist noch um elf im Schlafanzug? Sobald der Akku des ferngesteuerten Autos endlich voll geladen ist, zieht er sich innerhalb von Sekunden an. Zwanzig Minuten Diskussion, warum man die fünfte Matheaufgabe auch noch ins Heft schreiben muss? Dann eben am Nachmittag gemütlich auf dem Sofa mündlich mit mir lösen. Die Präsentation ist immer noch nicht fertig? Dann eben später, wenn Jakob draussen mit der Nachbarstochter auf Schatzsuche geht.
Wie Jakob das Homeschooling gerade findet? Ich habe ihn für diesen Beitrag mal dazu interviewt. Hier sein Statement:
Ich finde es gut und ich finde es auch schlecht. Gut finde ich es, weil ich dann immer mit meinen Spielsachen eine Pause machen und spielen kann. Und dass ich zuhause bin. Und ich finde nicht so gut, dass es dann oft Motzerei gibt. Ich mag den Videounterricht nicht so gerne, weil man dann immer nur am Computer sitzt. Ich finde, in der Schule lernt man am besten, weil dann alle zusammen sind und jemand einem helfen kann. (Jakob, 8 Jahre)
Ein Schlag gegen die Fensterscheibe – nein, keine der nervigen Tauben. Es hat geschneit im Rheinland. Endlich. Jakob steht fertig angezogen im Garten und wirft Schneebälle an mein Fenster. Kinderglück. Das Internet will gerade nicht – mal wieder mitten im Call. Ist nicht das erste mal und gleich wird alles wieder funktionieren. Ich sitze hier alleine und fühle mich kein bisschen einsam. Wir treffen uns nicht mehr auf dem Flur, nicht an der Kaffeemaschine. Wir treffen uns im Chat, in Calls. Wir sind verbunden. Tut gut.
Nachmittags gehen Jakob und ich oft in den Wald. Natur, Ruhe. Neue Gerüche, Geräusche und viel Matsch. Letzte Woche haben wir zwei Rehe gesehen – abseits der ausgetretenen Pfade.